Aufruf zur geplanten Urheberrechtsnovellierung (prometheus - Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung & Lehre e.V.)

Von
Ute Verstegen, Lehrstuhl für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Bildung und Wissenschaft droht mit der geplanten Urheberrechtsnovellierung ein Desaster – Appell für ein bildungs- und wissenschaftsfreundlicheres Urheberrecht in Deutschland

Stellungnahme von prometheus – Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung & Lehre e.V. zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft („Zweiter Korb")

Am 3. Januar 2006 hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) den neuen Gesetzentwurf für ein Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft ("2. Korb") veröffentlicht, der per Kabinettsentscheid am 22. März 2006 bestätigt wurde. Die Absicht des Bundes und der Länder, das deutsche Urheberrecht der Entwicklung im Bereich der digitalen Informations- und Kommunikationstechnologie anzupassen und rechtliche Klarheit für deren Nutzungsmöglichkeiten in Bildung und Wissenschaft herbeizuführen, ist prinzipiell begrüßenswert. Doch schon die bisherige Novellierung des Urheberrechtsgesetzes hat für Bildung und Wissenschaft zu einschneidenden Behinderungen und zu unakzeptablen Einschränkungen der grundgesetzlich garantierten Rechte bei der öffentlichen Zugänglichkeit und der digitalen Nutzung von veröffentlichten Werken geführt, die sich mit dem Inkrafttreten des sog. „Zweiten Korbs" weiter zu verschärfen drohen.

Mehrere der im sog. „Zweiten Korb" geplanten Regelungen widersprechen aus der Perspektive von Forschung und Hochschullehre schwerwiegend und unangemessen dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel eines „bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Urheberrechts". So fällt nach vorliegendem Entwurf die bis Ende 2006 befristet geltende Schrankenregelung § 52a UrhG weg, nach der eine öffentliche Zugänglichmachung urheberrechtlich geschützten Materials im Rahmen der Veranschaulichung des Unterrichts, z.B. in digitalen Semesterapparaten, erlaubt ist. Denjenigen Hochschulen, die sich den bildungspolitisch gewollten und mit Bundesmitteln geförderten e-Learning-Initiativen angeschlossen haben, wird nun rückwirkend die Rechtsgrundlage entzogen. Will die Bundesregierung wirklich diese Hochschulentwicklung zurückdrehen und Bildung und Wissenschaft vom sinnvollen Gebrauch der digitalen Medien ausschließen? Sollen mehrere Milliarden Euro an öffentlichen Mitteln, die dafür bisher investiert wurden, in den Sand gesetzt werden?

Hier besteht dringender Handlungsbedarf! Wir ersuchen vehement darum, § 52a beizubehalten und den Bedürfnissen von Bildung und Wissenschaft weiter anzupassen. Hierzu ist die Befristung dieses Paragraphen aufzuheben oder wenigstens die Befristung um mindestens weitere 5 Jahre zu verlängern, auch um eine wesentliche Verbesserung dieses Paragraphen entsprechend den Bedürfnissen von Bildung und Wissenschaft zu erreichen.

Wer mit der Praxis des aktuellen Wissenschaftsbetriebs und insbesondere der gängigen Einbindung einzelner Institute in die Hochschulintranets vertraut ist, dem/der wird besonders die Regelung im neuen § 52b (Entwurf) absurd erscheinen: Diesem neu eingefügten Paragraphen zufolge soll eine Wiedergabe von Werken aus den elektronischen Beständen einer Bibliothek, eines Archivs oder Museums nur an eigens eingerichteten elektronischen Leseplätzen in der Institution selbst möglich sein. Gerade in der Ortsungebundenheit liegt aber der grundlegende Vorteil der digitalen Ressourcen. Der § 52b zwingt die Nutzer/innen (wie in der bisherigen analogen Nutzung) nun wieder in die Bibliothek und an einen „elektronischen Leseplatz" - insofern er nicht gerade besetzt ist -, um die Ressource online einzusehen. Unklar ist zudem, ob diese überhaupt ausgedruckt werden darf oder vom Bildschirm abgeschrieben werden muss. Ergebnis ist eine absurde Verschlechterung der Informationsversorgung gegenüber dem analogen Zeitalter, als man ein Buch oder eine Zeitschrift wenigstens ausleihen und mitnehmen durfte.

Wie kann es sein, dass vor diesem Hintergrund im Regierungsentwurf behauptet wird, diese Regelungen hätten keine Auswirkung auf die öffentlichen Haushalte? Es entstehe angeblich "kein zusätzlicher Vollzugsaufwand, da organisatorische Umstellungsarbeiten zur Umsetzung des Gesetzes nicht erforderlich" seien. Wenn die erste deutsche Universitätsbibliothek die umliegenden Liegenschaften aufkaufen muss, um dorthin ihre Leseräume zu erweitern, wird auch das BMJ möglicherweise die Absurdität dieser Formulierung begreifen.

Es reicht nicht abzuwarten! Nun sind alle Institutionen von Wissenschaft und Kultur, Lehrende und Studierende gleichermaßen aufgefordert, für ein angemessenes, zukunftsweisendes und nachhaltiges Urheberrecht einzustehen.

Was können Sie tun?

- Unterstützen Sie das Aktionsbündnis „Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft", indem Sie die Göttinger Erklärung zum Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft vom 5. Juli 2004 unterzeichnen, die von den großen deutschen Wissenschaftsorganisationen, über 260 Fachverbänden und über 3700 Einzelpersonen getragen wird
(http://www.urheberrechtsbuendnis.de/).

- Fordern Sie Ihre Rektoren/-innen, Präsidenten/-innen und Direktoren/-innen sowie Ihre Studierendenvertreter und ASten auf, sich schriftlich gegen den Regierungsentwurf zu stellen! Sie können sich dabei an der vollständigen Stellungnahme von prometheus e.V. sowie an der umfangreichen Stellungnahme des Urheberrechtsbündnisses orientieren.

Diese finden Sie unter:

http://www.prometheus-bildarchiv.de/downloads/prometheus_Stellungnahme.pdf
http://www.urheberrechtsbuendnis.de/docs/ABStellungnahmeKorb2.pdf

- Wenden Sie sich an Ihre zuständigen Bundestagsabgeordneten und fordern Sie diese auf, dafür Sorge zu tragen, dass das Gleichgewicht der Interessen von Urhebern und Nutzern ausgewogen bleibt und in der digitalen Informationsgesellschaft nicht zu Ungunsten von Bildung und Wissenschaft verschoben wird!

Im globalen Wettbewerb werden Bildung und Wissenschaft in Deutschland künftig durch das restriktive geplante Urheberrecht massiv benachteiligt und von der Informationsgesellschaft weitgehend abgekoppelt. Dies läuft allen bildungspolitischen Absichtserklärungen der Landesregierungen und der Bundesregierung zuwider!

prometheus – Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung und Lehre e.V.
(http://www.prometheus-bildarchiv.de)

21. April 2006

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prometheus – Das verteilte digitale Bildarchiv für Forschung & Lehre e.V. ist aus einem bundesweiten Verbundprojekt hervorgegangen, das 2001-2004 im Rahmen des Programms „Neue Medien in der Bildung" vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde (http://www.prometheus-bildarchiv.de). prometheus hat mit Bundesmitteln ein verteiltes digitales Bildarchiv für die Kunst- und Kulturgeschichte realisiert, in dem unterschiedliche digitale Bilddatenbanken von Museen, Hochschulinstituten, Bibliotheken, Archiven und anderen Forschungseinrichtungen zusammengeführt und über eine gemeinsame Oberfläche für einen spezifischen Anwenderkreis in Lehre und Forschung bereitgestellt werden. prometheus e.V. ist Unterzeichner der Göttinger Erklärung zum Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft vom 5. Juli 2004.

Weitere Informationen erhalten Sie bei:

Dr. Holger Simon (Vorstandsvorsitzender prometheus e.V.),
Kunsthistorisches Institut der Universität zu Köln,
holger.simon at uni-koeln.de

Dr. Ute Verstegen
(Vorstandsmitglied prometheus e.V., Arbeitsbereich Rechtsfragen),
Lehrstuhl für christliche Archäologie und Kunstgeschichte,
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,
Kochstr. 6, D-91054 Erlangen
Fon: ++49-9131-8522035, Fax: ++49-9131-8522034
E-Mail: ute.verstegen at theologie.uni-erlangen.de
http://www.theologie.uni-erlangen.de
http://www.ute-verstegen.de